Aufbruch in Forst


Aufbruch in Forst

Aufbruch in Forst

Das Samisdat Heft „Aufbruch“ des Ökumenischen Friedenskreises Forst (ÖFK) erscheint erstmalig im Januar 1988. Ende des Jahres greifen die staatlichen Organe hart durch, um die Herausgabe zu verhindern. Das Ministerium für Staatssicherheit bekämpft die Herausgabe mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Die Herausgeber werden mit hohen Ordnungsstrafen sanktioniert. Die Mitglieder des ÖFK weigern sich, die Strafen zu bezahlen. Im Januar 1989 haben sich bereits 8.000 Mark angehäuft. Durch landesweite Informationen kommt es zu einer Solidarisierungswelle und Geldspenden.

Maria Nooke

Im Dezember 1988 erschien in den »Umweltblättern« ein Artikel des Ökumenischen Friedenskreises Forst (ÖFK) mit dem Titel »Provinzblatt in der Klemme«. Die mit Selbstironie gewählte Überschrift sollte die Aufmerksamkeit der Friedens- und Umweltgruppen wecken, um einer Tendenz entgegenzuwirken, die sich im Bezirk Cottbus abzeichnete. Das vom ÖFK seit Januar 1988 herausgegebene Informationsblatt »AUFBRUCH«, das sich im Rahmen des konziliaren Prozesses mit den Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung beschäftigte, hatte heftige Gegenreaktionen des Staates bewirkt. Nachdem die vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verfolgte Strategie der »innerkirchlichen Differenzierung« keinen Erfolg zeigte, wurde nun mit Ordnungsstrafverfahren gegen die Herausgeber des »AUFBRUCH« vorgegangen.

Das hartnäckige Vorgehen der Cottbuser Bezirksverwaltung ließ befürchten, dass in der Kleinstadt Forst ein Präzedenzfall geschaffen werden sollte, wie mit Publikationen des Samisdat, die an anderen Orten der DDR in ansehnlicher Zahl hergestellt wurden, in Zukunft umgegangen werden sollte. Erste Anzeichen dieser neuen Strategie zeigten sich auch an anderen Orten. Im Januar 1989 informierte der ÖFK bei einem Treffen „Frieden konkret VII“ informierte der ÖFK die beim Treffen »Frieden konkret VII« in Greifswald die versammelten Vertreter von Friedens-, Ökologie- und Menschenrechtsgruppen über die Verschärfung der Auseinandersetzungen. Inzwischen waren über 8.000 Mark Ordnungsstrafen gegen Mitglieder des Friedenskreises fällig. Als Begründung dafür wurde angegeben, die Herstellung einer periodisch erscheinenden Zeitschrift würde gegen die Vervielfältigungsverordnung verstoßen.
Angesichts der Umstände bei der Herstellung und der Druckqualität des Blättchens war diese Einschätzung äußerst schmeichelhaft. Letztlich ging es aber nicht um formale Fragen, sondern vor allem um die Inhalte. Was hatte es also mit der bis dahin wenig bekannten Oppositionsgruppe aus dem Bezirk Cottbus auf sich?

Entstehung des Friedenskreises

Seit Mitte der 1980er-Jahre hatte sich in Forst eine Anzahl junger Leute zu einem Ökumenischen Friedensarbeitskreis zusammengeschlossen. Ihr Ziel war es, vor Ort Friedensarbeit zu leisten. Der Friedensarbeitskreis verstand seine Tätigkeit als Reaktion auf ein »gesamtgesellschaftliches Problem«, das mit der christlichen Formel »Unfriede herrscht auf Erden« gefasst wurde. Schwerpunkte der Arbeit bildeten Friedenserziehung, Umweltverantwortung und Fragen der Dritten Welt.

Die Arbeit der Friedensgruppe wurde allerdings durch ausbildungsbedingten Ortswechsel vieler Mitglieder erschwert. Einen Kristallisationspunkt der Arbeit bildete die jährliche Friedensdekade. Für November 1987 war neben verschiedenen anderen Veranstaltungen ein Konzert mit dem Liedermacher Stefan Krawczyk und der Regisseurin Freya Klier geplant, bei dem sie ihr Programm »Pässe und Parolen« aufführen wollten. Die Veranstaltung war eines von drei geplanten Konzerten der beiden Künstler, die in dieser Zeit im Bezirk Cottbus stattfinden sollten. Schon Wochen zuvor wurden die einladenden Pfarrer unter Druck gesetzt, die Veranstaltung abzusagen. Nachdem am 9. November 1987 in der Samariterkirche in Berlin ein Brief von Stefan Krawzcyk und Freya Klier an das SED-Politbüromitglied Kurt Hager, den Chefideologen der DDR, verlesen wurde, in dem sie die Freiheit der Kunst mit dem Verweis auf die Reformen in der Sowjetunion einklagten, eskaliert die Situation.
Unter massivem Druck und Drohungen gegen die veranstaltenden Pfarrer und Gemeindekirchenräte wurde versucht, die Auftritte zu verhindern. Eingebunden in diese Abwehrstrategie des MfS in Zusammenarbeit mit der Abteilung Inneres beim Rat des Bezirkes war der Generalsuperintendent von Cottbus Reinhard Richter.

Am 14. November 1987 lag knisternde Spannung über dem kleinen Grenzdorf Groß Bademeusel bei Forst. Die Zufahrtsstraßen wurden generalstabsmäßig von der Polizei kontrolliert. Alle Fahrzeuge wurden angehalten, die Fahrzeugnummern notiert. Der Busverkehr war eingestellt worden, Taxifahrer waren angewiesen, keine Fahrgäste in den Ort zu bringen. Die Gaststätte war geschlossen, eine Tanzveranstaltung abgesagt worden. Im Dorf wimmelte es von Polizei, Staatssicherheit und »gesellschaftlichen Kräften«. Der Stellvertreter der Vorsitzenden des Rates des Bezirkes für Inneres Burckhard Bartusch saß incognito in der Bürgermeisterei vor Ort und leitete den Einsatz.

Während im Gemeindekirchenrat über das Vorgehen gestritten wurde, versammelten sich vor der verschlossenen Kirche immer mehr Menschen. Keiner wusste, was geschehen wird. Als sich die Kirchentür öffnete, drängten beflissene junge Männer in den Innenraum und besetzten jede zweite Bankreihe. Eine unheimliche Spannung war zu spüren. Erst nach der Andacht teilte der Generalsuperintendent den wartenden Besuchern mit, der Gemeindekirchenrat habe beschlossen, das Konzert nicht stattfinden zu lassen. Dies sei keine staatliche Auflage gewesen, und die Entscheidung wäre ohne Druck erfolgt. Freya Klier widersprach dieser Darstellung vehement. Sie bezeichnete es als unwürdig, Menschen in dieser Weise unter Druck zu setzen und zu bevormunden und forderte die anwesenden Spitzel auf, diese Meinung an ihre Vorgesetzten weiterzugeben.

Bartusch meldete am folgenden Tag dem Staatssekretär für Kirchenfragen lapidar: »Im Ergebnis einer breiten politischen Einflussnahme und des erreichten politischen Differenzierungsprozesses fand der Auftritt von Krawzcyk und Klier nicht statt. Vor der Veranstaltung wurde der Gemeindekirchenrat durch Generalsuperintendent Richter umgestimmt. Er teilte den Teilnehmern in der Kirche diese Entscheidung des Gemeindekirchenrates mit und hob hervor, daß es sich um eine freie Entscheidung handelt, die der Gemeindekirchenrat ohne Druck herbeigeführt habe. Es waren 170 Teilnehmer (40 gesellschaftliche Kräfte) erschienen, die nach Aufforderung des Pfarrers die Kirche diszipliniert und ohne besondere Reaktionen verließen.«

Bartusch musste es wissen, denn er wurde noch vor Beginn der Veranstaltung von Richter persönlich über die Entscheidung informiert – ohne Wissen des Gemeindekirchenrates. Am nächsten Tag wiesen die Pfarrer der Region Forst in einem Brief an den Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres beim Rat des Kreises Forst das massive Vorgehen des Staates gegen die kirchliche Veranstaltung zurück. Sie stellten fest, dass dieser Eingriff in innerkirchliche Entscheidungsprozesse eine Verletzung des Artikels 39 der Verfassung der DDR bedeutete und die Basis für weitere Gespräche zwischen Staat und Kirche aufs Schwerste erschüttert sei. Die Gesprächskontakte zu staatlichen Stellen wurden auf unbestimmte Zeit abgebrochen.

Das Informationsblatt »AUFBRUCH«

Nicht nur in Forst wurden die Auseinandersetzungen schärfer. Als im Januar 1988 in Berlin im Zusammenhang mit der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration neben vielen anderen auch Stefan Krawczyk und Freya Klier verhaftet wurden, hatten die Forster bereits beschlossen, mit der Herausgabe eines Informationsblattes »AUFBRUCH« in die Offensive zu gehen. Die erste Ausgabe wurde am 30. Januar 1988 verteilt. In der Folge kam es zu einer Neugründung der Gruppe unter dem Namen »Ökumenischer Friedenskreis der Region Forst«. Die Arbeit wurde neu strukturiert und gewann an politischer Relevanz. Hauptaufgabe war vorerst die Herausgabe des Informationsblattes, das im Rahmen des konziliaren Prozesses zur Vorbereitung der Ökumenischen Versammlung erscheinen und zu den Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung informieren sollte.

Um dem Druck einen legalen Anschein zu geben, wurde mit der Kennzeichnung als innerkirchliches Informationsmaterial eine Lücke in der restriktiven Genehmigungspraxis für Druckerzeugnisse in der DDR genutzt. Normalerweise musste für alle Publikationen von den zuständigen staatlichen Stellen eine Druckgenehmigung eingeholt werden. Innerbetriebliche Informationen waren davon jedoch ausgenommen. Diese Regelung wurde auch der Kirche zugestanden. Allerdings mussten alle Vervielfältigungen akribisch registriert werden. Um diese formale Frage konzentrierten sich die nach der ersten Veröffentlichung sofort beginnenden Auseinandersetzungen.

In Absprache mit der für die »Bearbeitung der Kirchen« zuständigen Hauptabteilung XX/4 beim Ministerium für Staatssicherheit in Berlin und der Kreisdienststelle in Forst wurden von der Bezirksverwaltung des MfS in Cottbus am 3. Februar 1988 Maßnahmen festgelegt, die das Ziel hatten, »die Herstellung weiterer Ausgaben des ›AUFBRUCH‹ zu unterbinden, den Prozeß der innerkirchlichen Auseinandersetzung in Gang zu setzen und das Verhältnis Staat, Kirche im Bereich Forst zu verbessern bzw. zu beruhigen.« Der wichtigste Ansatzpunkt für die Durchsetzung dieser Ziele war das Provozieren einer innerkirchlichen Auseinandersetzung, auf deren Verlauf direkt Einfluss genommen wurde. Damit gelang es dem MfS, im Hintergrund zu bleiben und den Anschein zu erwecken, es handele sich lediglich um ein innerkirchliches Problem, das auch innerhalb der Kirche zu lösen sei.

Insbesondere sollten Kirchenvertreter mit Leitungsfunktion auf verschiedenen Ebenen in die Abwehrstrategie eingebunden werden. Das bekamen die Mitglieder des ÖFK sehr schnell zu spüren. Sie mussten sich in der Folgezeit einer Vielzahl von Gesprächen stellen. So wurde versucht, über kirchenleitende Amtsträger oder Gremien Einfluss auf den Friedenskreis auszuüben. Diese Strategie ging aber nicht auf, da der Friedenskreis eine kirchenjuristische Absicherung seiner Arbeit erreichen konnte. Er ließ sich von vier Gemeindekirchenräten beauftragen, das Informationsmaterial »AUFBRUCH« für die Gemeinden herzustellen. Parallel zu den innerkirchlichen Auseinandersetzungen wurde versucht, die namentlich bekannten Mitglieder der Gruppe, durch wiederholte Vorladungen zur Abteilung Inneres beim Rat des Kreises Forst unter Druck zu setzen. Die im Jahr 1986 für einzelne Personen begonnene Operative Personenkontrolle (ÖPK »Risiko«) wurde auf alle Mitglieder des Ökumenischen Friedenskreises ausgeweitet und in einen Operativen Vorgang umregistriert. Da alle Gesprächsinterventionen auf den verschiedenen Ebenen nicht fruchteten und bereits die vierte Ausgabe des Informationsblattes erschienen war, wurden am 9. Juni 1988 die ersten Ordnungsstrafverfahren gegen die Redaktionsmitglieder eingeleitet.

Doch der Friedenskreis ließ sich durch diese Drohungen nicht beirren. Neben der Herstellung des Informationsblattes wurden vielfältige Aktivitäten organisiert. Ein Schwerpunkt war dabei die Auseinandersetzung mit dem Kohleabbau im Lausitzer Braunkohlegebiet und der Energieproblematik. Nach weiteren »Aufbrüchen« waren im Januar 1989 8.000 Mark Ordnungsstrafen zuzüglich Mahngebühren fällig. Weitere Ordnungsstrafverfahren wurden bis in den Herbst 1989 hinein eingeleitet. Da sich die Betroffenen weigerten, die Strafen zu zahlen, wurden Gehaltspfändungen angewiesen. Der Arbeitgeber des Agrartechnikers Guido Bache, ein Mitglied der »AUFBRUCH«-Redaktion, führte diese unverzüglich aus. Die Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg dagegen empfahl den an die kirchlichen Mitarbeiter Gehalt zahlenden Stellen der beiden zuständigen Kirchenkreise, keine Amtshilfe zu leisten. Der Superintendent des Kirchenkreises Spremberg tat dies im Fall von Michael Moogk dennoch, der des Kirchenkreises Guben zahlte bereits einbehaltenes Geld an Bodo Grützner zurück. Daraufhin kam es bei Bodo Grützner und Maria Nooke zu Konto-Pfändungen. Selbst das Konto von Grützners Ehefrau wurde belangt.

Die bei »Frieden konkret VII« verteilte Information an die Gruppen löste eine regelrechte Solidarisierungswelle aus, vielfältige Verbindungen in die gesamte DDR wurden geknüpft. Es kam zu regem Informationsaustausch und Kooperation mit anderen Umweltgruppen. Im Laufe des Jahres gingen so viele Spenden ein, dass nicht nur die gepfändeten Gelder ausgeglichen werden konnten, sondern der Überschuss Freunden in Leipzig angeboten werden konnte, die ebenfalls mit Ordnungsstrafen belegt worden waren beziehungsweise in Untersuchungshaft saßen. Besonders beeindruckend war die Spende der drei katholischen Gemeinden von Cottbus, die bei einer Kollekte 4.870,85 Mark zur Unterstützung des ÖFK sammelten. Als im November 1989 auf Druck der Bevölkerung die Ordnungsstrafverfahren niedergeschlagen und die gepfändeten Gelder zurückgezahlt wurden, konnte mit dem Spendengeld ein alternatives Energieprojekt, der Aufbau eines Wasserkraftwerkes an der Neiße, unterstützt werden.

Welche Bedeutung staatliche Stellen dem Ökumenischen Friedenskreis zugemessen hatten, wird in der Diplomarbeit eines MfS-Majors Horst Röchow aus dem Jahr 1988 deutlich. Als wichtigsten Schwerpunktbereich der »zu sichernden Objekte, Bereiche, Territorien, Prozesse, Komplexe und damit in Zusammenhang stehender Personen und Personenkreise« legte er fest: »1. Politisch-operative Kontrolle und Bearbeitung des Friedenskreises Forst, mit dem Ziel der Einleitung und Zersetzung in Form der Disziplinierung unter Einbeziehung aller gesellschäftlichen Kräfte, der Liquidierung als Sammelbecken politisch negativer Kräfte, der Gewährleistung des Kräfte- und Mitteleinsatzes zur Sicherung von Beweisen sowie zur Beseitigung aller begünstigenden Bedingungen.«

Dass sich der Mitarbeiter des MfS in seiner Analyse nicht geirrt hat, verdeutlicht der Einfluss der Gruppe im Herbst 1989. Mitglieder des ÖFK gründeten den Demokratischen Aufbruch (DA), der in Forst zur wichtigsten politischen Kraft wurde. Bei den Kommunalwahlen im Jahr 1990, bei denen der Forster DA in Konkurrenz zur CDU antrat, erreichte er über 40 Prozent der Wählerstimmen.

Download: Die Geschichte „Aufbruch in Forst“ von Maria Nooke (PDF Datei | 215kB)

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