Das „Rote Kloster“ – Die Sektion Journalistik an der Karl-Marx- Universität Leipzig war die Kaderschmiede der DDR-Journalisten


Das „Rote Kloster“ – Die Sektion Journalistik an der Karl-Marx- Universität Leipzig war die Kaderschmiede der DDR-Journalisten

Das „Rote Kloster“ – Die Sektion Journalistik an der Karl-Marx- Universität Leipzig war die Kaderschmiede der DDR-Journalisten

Thomas Purschke

In der DDR gab es an der Karl-Marx-Universität in Leipzig den einzigen universitären Studiengang, um eine Ausbildung zum Journalisten zu absolvieren. Die Fakultät für Journalistik wurde 1954 gegründet und 1968 in „Sektion Journalistik“ umbenannt. Der Volksmund bezeichnete die berüchtigte Kaderschmiede als „Rotes Kloster“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ordnete die sowjetische Besatzungsmacht die Universitätsstruktur neu und berief an die Spitze des "Institutes für Publizistik und Zeitungswissenschaft", wie es zunächst hieß, den Leipziger Professor Gerhard Menz. Dieser war laut dem 2004 in Münster erschienenen Buch „Die Spirale des Schweigens“ bereits unter den Nazis Schriftleiter des Börsenblatts des deutschen Buchhandels und galt auch den neuen Machthabern als nützlich. Das 1954 entstandene Journalistik-Institut hatte zunächst seinen Sitz in einer Villa in der Tieckstraße in Leipzig, in der Nähe der Galopprennbahn Scheibenholz.

Später zog die Sektion Journalistik in das 1972 fertiggestellte Universitätshochhaus in der Stadtmitte um. Diese zentrale Ausbildungseinrichtung für DDR-Journalisten war wegen der politisch-ideologischen Bedeutsamkeit der direkten Aufsicht der Abteilung „Agitation und Propaganda“ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) unterstellt. Ungefähr zwei Drittel aller DDR-Journalisten studierten in Leipzig am „Kloster“, der Rest gelangte zumeist über andere politische Studienabschlüsse zum Journalismus. Mehr als 5.000 Absolventen erwarben zwischen 1954 und 1990 ihren akademischen Grad Diplomjournalist am „Kloster“, davon zirka 3.500 im Direktstudium. Pro Jahr wurden im Schnitt um die 120 neue Studenten ausgebildet. Ausgebildet wurden sie von 100 hauptamtlichen Mitarbeitern der Sektion Journalistik (Stand 1989). Lediglich drei davon gehörten 1989 nicht der Staatspartei SED an. Der letzte Direktor vor dem Mauerfall war der Journalist und SED-Kader Professor Gerhard Fuchs, der in den 1960er-Jahren in der Sowjetunion auch die KPdSU-Parteihochschule absolvierte hatte.
Kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands, wurde das Institut im Dezember 1990 abgewickelt. Nach einer Übergangsphase eröffnete im Dezember 1993 an der Universität Leipzig das neue Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, in dem die Journalistik jetzt nur noch eine von mehreren Studienrichtungen ist.
Der aus Sachsen stammende Historiker und versierte Medien-Experte Gunter Holzweißig verwies in einem Aufsatz zu den Medien in der DDR auf den „martialischen SED-Jargon“. Im einstigen Arbeiter- und Bauern-Staat wurden die Medien als "schärfste Waffe der Partei“ angesehen. Die Forderung von Lenin, dem Mitbegründer des wissenschaftlichen Sozialismus, die Partei-Presse müsse als kollektiver Agitator, Propagandist und Organisator fungieren, wurde in der DDR bei der Ausbildung von Journalisten in Leipzig strikt umgesetzt. Das Mitglied des SED-Politbüros Albert Norden definierte 1960 die Hauptaufgabe der DDR- Journalisten so: Es solle der in Bonn herrschende „imperialistisch-militaristische Menschheitsfeind“ ohne Ermüden angegriffen, seine aggressiven Kriegsmachenschaften aufgedeckt und alle seine volks- und völkerfeindlichen Aktionen kühn und überzeugenden an den Pranger gestellt werden.
Brigitte Klump studierte ab 1954 Journalistik an der Universität Leipzig. Im November 1957 floh sie in den Westen und setzte ihr Studium an der Freien Universität in Westberlin fort. In ihrem Buch „Das Rote Kloster – Eine deutsche Erziehung – Produktion der Macht- Elite in der DDR“ beschreibt sie, was es für sie bedeutet hat, als parteilose Studentin "lernen zu müssen, Sprachrohr der Partei zu sein und eigene Gedanken zu unterdrücken. Sowie was es heißt, wenn man aus taktischen Gründen die Unwahrheit sagt und sie als Wahrheit annimmt."
Die Verbreitung der Ideologie des Marxismus-Leninismus in alle Teile der Bevölkerung war wesentlicher Bestandteil der strategischen Zielrichtung von der Presse im Sozialismus. Das Lehrfach Marxismus-Leninismus gehörte als generelles Pflichtfach natürlich zum Studienprogramm der angehenden Propagandisten. Der Journalist in der DDR und sein Wirken wurde von der SED wie folgt definiert: „Er ist Funktionär der Partei der Arbeiterklasse, einer anderen Blockpartei bzw. einer gesellschaftlichen Organisation und der sozialistischen Staatsmacht, der mit journalistischen Mitteln an der Leitung ideologischer Prozesse teilnimmt. Er hilft, das Vertrauensverhältnis des Volkes zu Partei und Staat zu festigen. (...) Durch Wort und Bild nimmt er zielgerichtet auf die Herausbildung, Entwicklung und Festigung des sozialistischen Bewusstseins des Volkes Einfluß."
Nach dem Abitur mussten die angehenden Journalisten ein Volontariat bei einer Zeitung, dem Radio oder Fernsehen absolvieren. Dort dürften schon viele Volontäre für sich realisiert haben, dass es keine Pressefreiheit in der DDR gab. Dennoch absolvierten viele danach das vier Jahre währende Direkt-Studium an der Universität in Leipzig zum Diplom-Journalist. Dies war in ein Jahr Grundstudium, zwei Jahre Fachstudium und ein Jahr Spezialstudium eingeteilt. Im Grundstudium lag der Schwerpunkt auf der „sozialistischen Gesellschaftstheorie“ und den Grundlagen des "sozialistischen Journalismus“. Im Fachstudium erfolgte die theoretische und praktische Ausbildung und im Spezialstudium folgten die Fächer der Spezialisierung auf ein bestimmtes Medium. Die Ausrichtung der Absolventenzahlen richtete sich nach den Bedarfsplänen der DDR- Medieneinrichtungen. Somit war den jungen Diplomjournalisten ein Arbeitsplatz in einer Redaktion sicher. Die Zuweisung der Journalisten an ihre zukünftigen Arbeitgeber erfolgte in der Regel durch die Abteilung Agitation im Zentralkomitee der SED sowie durch das Presseamt beim Ministerrat der DDR. Einige absolvierten diese Ausbildung auch im Fernstudium.
Viele der männlichen Studenten hatten zuvor ihre besondere Staatstreue durch ihren mehr oder minder sogenannten freiwilligen dreijährigen Ehrendienst bei der Nationalen Volksarmee der DDR bekundet. Das bedeutete für viele männliche DDR-Journalisten, dass sie als junger Mensch acht prägende Lehr- und Lebensjahre in einem Umfeld von fehlender Wissenschaftsfreiheit und vorgeschriebenem Staatsgehorsam verbracht zu haben. Die überwiegende Anzahl der Journalistik-Studenten trat aus Überzeugung beziehungsweise im vorauseilenden Gehorsam in die SED ein. Dennoch gab es auch für die Journalistik- Absolventen keinen Zwang zur Mitgliedschaft in der Einheitspartei. Einige schlossen sich den Blockparteien wie der CDU an oder blieben sogar parteilos.
Im Jahr 1989 gab es in der DDR 39 Tageszeitungen. Die 17 Publikationen der SED stellten mit 9,7 Millionen Exemplaren knapp 65 Prozent der Gesamtauflage. Ein Großteil der DDR- Journalisten, besonders im SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ und in den SED- Bezirkszeitungen, im Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend (FDJ) „Junge Welt" oder auch in den Nachrichten- und Politik-Redaktionen von Staats-Fernsehen und Radio haben die Parteilichkeit über die Wahrhaftigkeit gestellt und ihre Leser, Zuschauer und Hörer über die wahren politischen und gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Zustände im In- und Ausland regelrecht bewusst belogen.
Einige Absolventen des Leipziger Journalistik-Studiums versuchten im späteren Berufsleben in einer sogenannten Nische, etwa im Kulturbereich einer Musikfachzeitschrift, der direkten Zensur und den täglichen phrasenhaften Ergebenheitsadressen an die Staats- und Parteiführung, auszuweichen. Wenige von ihnen stellten einen Ausreiseantrag oder sind im Sommer 1989 über Ungarn in den Westen geflüchtet.
Des Weiteren gab es in Leipzig noch die Fachschule für Journalistik des Verbandes der Journalisten (VDJ) der DDR. Auch hier wurde als Zulassungsvoraussetzung ein einjähriges Volontariat verlangt. Das Studium dauerte drei Jahre, war ähnlich ideologisiert und die Theorie-Ausbildung wurde hauptsächlich von SED-getreuen Journalistik-Dozenten der Universität Leipzig übernommen.
Der seit April 2012 amtierende heutige Chefredakteur der "Leipziger Volkszeitung“ (LVZ), Jan Emendörfer (Jahrgang 1963), studierte an dieser DDR-Fachschule von 1986 bis 1989 im Fernstudium. Für überregional aufsehenerregende Recherchen und Artikel sorgte die seit 1990 unabhängige LVZ in den vergangenen Jahren kaum. Gesellschaftliche oder politische Missstände bis hin zu dubiosen Immobiliengeschäften oder SED- und Stasi-Seilschaften in Leipzig wurden meist von überregionalen Zeitungen aufgedeckt.
„Fast alle ehemaligen SED-Bezirksblätter hatten in den 1990er-Jahren erkennbar Probleme damit, ihrer gesellschaftlichen Wächterfunktion gerecht zu werden“, erinnert sich der langjährig in Leipzig tätige gewesene WELT-Reporter Uwe Müller. Als einen Grund dafür nennt er, dass Journalisten, die zuvor als Propagandisten der Partei agiert hatten, wenig glaubwürdig gewesen wären, wenn sie plötzlich öffentliche Missstände angeprangert hätten. „Also versuchte man, nicht anzuecken und sich irgendwie durchzumogeln“, erklärt Uwe Müller. Die LVZ etwa habe damals selbst veritable Skandale in Ihrem Verbreitungsgebiet, die andere Medien aufgedeckt hatten, „entweder gar nicht aufgegriffen oder falls doch, dann oft in zurückhaltender Weise“, so Müller weiter. Jahre später hatte sich aber auch bei der LVZ allmählich einiges geändert, "schon allein deshalb, weil die Ex-SED-Journalisten längst nicht mehr unter sich waren. Junge, unbelastete Redakteure und Kollegen aus dem Westen sorgten seinerzeit zumindest teilweise für frischen Wind“, reflektiert Müller.
Von 1991 bis Ende 2003 führte Hartwig Hochstein als Chefredakteur die LVZ und von 2004 bis 2012 sein Nachfolger Bernd Hilder. Sowohl Hochstein als auch Hilder kamen aus Westdeutschland. Nun ist es interessant, zu verfolgen welche Akzente der Ostdeutsche Jan Emendörfer als LVZ-Chefredakteur mit seiner Redaktion setzen wird. Das einstige SED-Bezirksblatt “Leipziger Volkszeitung“ hat regional als Tageszeitung im Printbereich fast immer noch eine gewisse Monopolstellung inne. Viele Zeitungs-Neugründungen, die es nach dem Mauerfall gab, haben nicht überlebt. Nur die „Bild"-Zeitung macht dem Platzhirsch LVZ in der Messestadt noch bedingt direkte Konkurrenz. Im Online-Bereich gibt es mit der Leipziger Internet-Zeitung (www.l-iz.de) eine ernstzunehmende Informationsalternative. Der mehrfach in den letzten Jahren mit Journalistenpreisen ausgezeichnete, heutige SPIEGEL-Reporter Alexander Osang (Jahrgang 1962), der auch Absolvent des "Roten Klosters“ sowie SED-Mitglied war, legte 1987 sein Diplom ab. Das Thema seiner Arbeit war: „Titelprägende Darstellungs-Arten und -Methoden in Glossen vergleichbarer Thematik – Eine vergleichende Untersuchung von Bezirkszeitungen der SED zu dominierenden sprachlichen Merkmalen des Genres Glosse“.
Osang schrieb 1996 in einem Beitrag für das Buch „Genosse Journalist“ über seine Ausbildung zum Propagandisten in der DDR: „Schon bei den Aufnahmeprüfungen zu meinem Studium erfuhr ich, daß ein Lippenbekenntnis weit mehr geschätzt wurde als ein kritischer Geist. Die vielen Tests, die wir ablegen mußten, führten nicht dazu, daß später die talentiertesten, besessensten Bewerber des Landes im Journalistenhörsaal landeten. Es waren die überzeugtesten Parteigänger und die, die sich am besten verstellen konnten. Talent versammelte sich hier eher zufällig. Charakter gab es praktisch nicht. Im Studium lernte ich viele wichtige Sachen über Stilistik und ein paar Klassikerzitate, auf denen unser Journalismus basierte. Ich lernte, daß es nicht Journalismus hieß, sondern Parteijournalismus."
Laut eigenem Bekunden wollte Osang in der DDR Sportreporter werden, landete aber nach dem Studium laut Selbstauskunft im Wirtschaftsressort des SED-Bezirksblattes „Berliner Zeitung“, hat aber auch über FDJ-Veranstaltungen berichtet. Nach eigener Aussage verlor er „dabei immer mehr den Bezug zur Realität. Das war fast zwangsläufig so, weil die Leute da draußen sich nicht für unsere Zeitungen interessierten, und unsere Zeitungen sich nicht für die Leute da draußen.“
Klare Worte, aber es mutet dann etwas merkwürdig an, wenn ausgerechnet der ehemalige „Parteijournalist“ Osang in einem Artikel für die „Berliner Zeitung“ (2001) über den von zahlreichen Stasi-Verstrickungen gebeutelten MDR nachdenkt: „Vielleicht geht der Mitteldeutsche Rundfunk den dritten Weg, von dem ich mal geträumt habe. Vielleicht ist er das Modell, vielleicht auch nur die Nische. Eine gemütliche Ecke, von Feinden umstellt, aber warm."
Als aufrechte Gutmenschen, umgeben von bösen imperialistischen Mächten, so präsentierten sich die SED-Agitatoren besonders gern. Ohne Feinde, Sirenengeheul und Kampfrhetorik war kommunistische Propaganda undenkbar. Kritiker entdecken in Osangs Texten noch andere Hinterlassenschaften der frühen ideologischen Indoktrination. Der Politikwissenschaftler Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin stellt fest, „dass die Art wie Osang Menschen in seinen Texten typisiert, sozialistischer Realismus in neuem Gewand ist. Der Leser soll sofort wissen, wer der Gute und der Böse, wer der Trottel und wer der Superschlaue, fast so schlau wie Osang selbst ist. Aber guter Journalismus sollte dem Leser eine eigene Urteilsbildung ermöglichen.“ In den zurückliegenden Jahren ätzte Osang in seinen Texten auf eigene Art und Weise immer wieder mal gerne über Anlässe und Menschen, die sich mit dem DDR-Unrecht und dessen Aufarbeitung befassten.
Die DDR-Bürgerrechtlerin und einstige Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen Marianne Birthler äußerte sich zum DDR-Journalismus und dessen Hinterlassenschaften in einem WELT-Interview wie folgt: „Ich wundere mich über die Karrieren mancher SED- und FDJ- Wendehälse, die noch heute zwischen den Zeilen die DDR verharmlosen, Bemühungen um Aufarbeitung diffamieren und dafür sogar mit Journalistenpreisen bedacht werden. Natürlich können sich Menschen ändern. Ich kenne viele Beispiele von ostdeutschen Redakteuren, die sich redlich verhalten und durchaus selbstkritisch ihre eigene Rolle im alten System hinterfragt haben. Das merkt man ihren Kommentaren und Berichten dann auch an."
Bemerkenswert ist die nahtlose Anpassung von etlichen der einstigen DDR- Propagandisten an den zuvor verteufelten „Klassenfeind“. Obwohl viele von ihnen noch nach dem Mauerfall gegen die sich anbahnende Wiedervereinigung von Deutschland argumentiert hatten, ließen sie sich wenig später von gut dotierten Redakteursverträgen im Westen schnell überzeugen, getreu dem Motto: „Wes’ Brot ich ess, des' Lied ich sing.“ Nicht nur in den öffentlich-rechtlichen Medien, wie ARD und ZDF, MDR oder Deutschlandradio, oder den ostdeutschen Regionalzeitungen, sondern auch in den sogenannten deutschen Print-Leitmedien, wie zum Beispiel SPIEGEL, STERN, FAZ, Süddeutsche, DIE WELT, arbeiten auch ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall noch immer Redakteure und Autoren, die einst am „Roten Kloster“ in der DDR ausgebildet und für den „Klassenkampf“ geschult und gestählt wurden.
Interessant ist auch, mit welchen Themen sich die angehenden DDR-Journalisten damals in ihren abschließenden Diplomarbeiten an der Universität Leipzig beschäftigt haben. Die heute zu den leitenden Politik-Redakteuren der „Leipziger Volkszeitung“ gehörende Anita Kecke (Jahrgang 1956) legte damals in der DDR zunächst ihr Diplom als Journalistin ab und promovierte 1985 am "Roten Kloster“ zum Thema: „Erfordernisse und Möglichkeiten journalistischer Aktionen im sozialistischen Journalismus, untersucht an Bezirkszeitungen der SED“. Und 1987 erschien von Frau Kecke zu „Journalistische Aktionen in Bezirkszeitungen der SED“ sogar ein "Lehrheft zur Theorie und Methodik des Pressejournalismus“. Andere Studenten beschäftigten sich mit den Zeitungen des direkten Klassenfeindes. Der heutige leitende STERN-Redakteur Jens König (Jahrgang 1964) schrieb 1987 in Leipzig seine Diplomarbeit zu dem Thema: „Die Stellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu konservativen Konzeptionen vom Staat“. Ab 1987 arbeitete SED-Mitglied König zunächst als Redakteur für die mit zirka 1,6 Millionen Exemplaren auflagengrößte DDR-Tageszeitung „Junge Welt“ in Berlin. Kurz nach dem Mauerfall wurde König mit Mitte 20 Chefredakteur des Blattes, dass er 1994 verließ. Frank Pergande (Jahrgang 1958) schrieb 1982 eine bemerkenswerte Diplomarbeit in Leipzig zum Thema: „Zur Geschichte der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung’ – ein Beitrag zur Erforschung der Funktion des imperialistischen Journalismus in der BRD“. Darin analysierte Pergande unter anderem auch die „Rolle der FAZ im staatsmonopolistischen Apparat der Manipulation in der BRD“. Seit Ende der 1990er- Jahre arbeitet Pergande als Korrespondent für die FAZ.
Der langjährige Chefredakteur der „Thüringer Allgemeinen“ Sergej Lochthofen (Jahrgang 1953) erlangte 1977 in Leipzig sein Diplom. Das Thema der Diplomarbeit war „Journalistische Methoden der Darstellung gesellschaftlicher Widersprüche und ihrer Überwindung“. Als angepasster Journalist in der DDR arbeitete Lochthofen nach seinem Studium als Nachrichtenredakteur bei der SED-Bezirkszeitung „Das Volk“ in Erfurt. Besondere Verdienste von ihm als Journalist bei der Überwindung der DDR-Diktatur im Herbst 1989 sind nicht bekannt. Als langjähriges Mitglied des Deutschen Presserates wacht Lochthofen heute über die Einhaltung der Ethik-Standesregeln der Medien in der wiedervereinigten Republik. Auch im ARD-Presseclub ist er als „Stimme des Ostens“ ein gern gesehener Gast.
Die bekannte ZDF-Fernsehmoderatorin Maybrit Illner (Jahrgang 1965), die von 1984 bis 1988 Journalistik unter ihrem Mädchennamen Maybrit Klose am „Kloster“ in Leipzig studierte, erlangte 1988 ihren akademischen Grad als Diplomjournalistin mit dem Thema: „Erfordernisse und Möglichkeiten der Gestaltung von Sport- und Gesprächssendungen im Fernsehen – Erfahrungen des Journalisten Heinz Florian Oertel“. Für all jene, die mit dem Namen Oertel nichts anfangen können: Heinz Florian Oertel (Jahrgang 1927) war der bekannteste TV- und Radio-Sportreporter der DDR, der durch seine blumige Sprache und persönliche Begeisterung stark polarisierte. In den 1980er-Jahren dozierte der SED-Vorzeige- Genosse Oertel auch an der Sektion Journalistik der Universität Leipzig.
Nach ihrem Studium arbeitete Maybrit Illner 1989 als Sportjournalistin für das Fernsehen der DDR. Nachdem dieses 1992 abgewickelt war, bewarb sie sich beim einstigen sog- enannten Sender des Klassenfeindes, dem ZDF, wo sie bis heute tätig ist. Maybrit Illner kehrte im Juli 2012 zu einem öffentlichen Talk mit einer Redakteurin der ZEIT in den neuerbauten Leipziger Campus am Augustusplatz zurück. Auf die interessante Frage der ZEIT-Redakteurin, warum Illner in der DDR, wo es bekanntermaßen keine Pressefreiheit gab, ausgerechnet Journalismus studiert habe und nicht etwa Naturwissenschaften oder Medizin, antwortete Illner sinngemäß, dass sie deshalb Sport-Journalismus studiert habe, weil Sportreporterin ihr Jugendtraum gewesen sei. Ein Tor sei auch damals immer noch ein Tor gewesen. Sport-Journalismus sei, so Illner, in der DDR längst nicht so trocken gewesen wie Politik-Journalismus.
Doch gerade der vom DDR-Staat extrem instrumentalisierte Leistungssport mit den in Leipzig vollzogenen und von den regimetreuen Berichterstattern hochgejubelten Turn- und Sportfesten im damaligen Zentralstadion oder das Verschweigen von geflüchteten DDR- Sportlern in den Medien, schien für Illner wenig problematisch zu sein. Auch die am „Roten Kloster“ kompromisslos vermittelte kritische Distanz zum Gegner, der "imperialistischen Bundesrepublik", die klassische Zensur, die auch in der Sportberichterstattung erfolge thematisierte Illner nicht. Im Jahr 1986 sei Maybrit Illner in die SED eingetreten weil sie die Reformbestrebungen des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow unterstützte. Sie damals glaubte, wenn man etwas mit bewegen wolle, müsse man eben in der Partei sein. Im September 2007 hatte Illner in einem Interview mit der „SuperIllu“ geäußert, dass zu ihren unangenehmsten Erinnerungen an die DDR „die ewigen schleimigen Ja-Sager und Hundertprozentigen“ gehören.
Was die SED-Oberen von ihren Sport-Reportern in der DDR erwarteten, ist in der 1979 erschienenen „Kleinen Enzyklopädie – Körperkultur und Sport“ gut nachvollziehbar. Sie sollten „den Aufbau der sozialistischen Körperkultur in der DDR vollenden. Der verantwortungsbewusste Sportjournalist stellt reaktionäre Auffassungen und sportfeindliche Machenschaften an den Pranger.“ Der Sport war für die SED-Führung ein überaus bedeutsames Spielfeld im Klassenkampf. Er sollte die Menschen von den Alltagsproblemen ablenken und bescherte den Genossen zudem die auf anderen Gebieten so vergeblich ersehnten Siege. Für die Sportjournalisten war allein schon die Aussicht, zu Welt- meisterschaften oder Olympischen Spielen reisen zu dürfen, sehr reizvoll.
Ein Privileg, für das sich die allermeisten gern an vorgegebene Sprachregelungen anpassten. Beispielsweise sollten Auftritte republikflüchtiger DDR-Sportler verschwiegen werden. Das offizielle journalistische Selbstverständnis beschrieben die meisten Journalisten in ihren Diplomarbeiten. Es sind lächerlich anmutende Sätze, doch diese Unterwerfungsrituale haben ihnen längst nicht nur im Sport den Weg zu Karrieren in heutigen Redaktionen geebnet.
Der heute für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) tätige Sportreporter Frank Stuckatz (Jahrgang 1962) beschrieb in seiner 1988 an der Universität Leipzig vorgelegten Diplomarbeit sein Berufsethos wie folgt: „Sozialistischer Sozialismus ist ein Instrument zur politischen Führung der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Daraus resultieren ideologiebildende und erzieherische Funktionen. Im Sozialismus sind sie darauf gerichtet, sozialistisches Bewußtsein mit herauszubilden, zu formen und zu festigen. Dazu bestens geeignet ist die journalistische Darstellung des tätigen Menschen."
Sieht man sich heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, seine aktuellen Beiträge im öffentlich-rechtlichen Fernsehen an, erinnert das kumpelhafte Verhältnis zu den Sportlern und die zumeist wenig distanzierte Berichterstattung sehr stark an die Glorifizierung der Sport-Helden in den DDR-Medien.
An der Aufarbeitung des massiven SED-Unrechts, der Stasi-Aktivitäten sowie auch des Zwangsdopings in der DDR hat sich die große Mehrheit der einstigen DDR-Journalisten in den 25 Jahren nach dem Mauerfall kaum beteiligt. Lieber beteiligen sie sich am Verdrängen, Verschweigen und Verharmlosen. Als im Winter 2009 die DDR-Dopingvergangenheit des Biathlon-Bundestrainers Frank Ullrich aus Suhl in der ARD thematisiert wurde, äußerte der zu dieser Zeit amtierende MDR-Sportchef Wolf-Dieter Jacobi (Jahrgang 1965), dass man nicht immer nur einseitig auf den DDR-Sport schauen solle, denn auch die Doping- vergangenheit im Westen sei noch nicht aufgearbeitet. Mit anderen Worten: Im eigenen Sendegebiet stellt man sich gerne schützend vor die belasteten DDR-Protagonisten, anstatt sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen.
Wolf-Dieter Jacobi, der nach eigenen Angaben von September 1984 bis August 1986 ein Volontariat in der Sportredaktion des DDR-Fernsehens absolvierte und von 1986 bis zum Diplom 1990 auch am „Roten Kloster“ in Leipzig studierte, erklomm übrigens im Herbst 2011 die bedeutsame Position des MDR-Fernsehdirektors. Zuvor hatte er sich unter anderem im eigenen Sender MDR und in der ARD Verdienste bei der Übertragung, Präsentation und auch als Reporter von kommerziellen Profi-Box-Veranstaltungen erworben.
Beim MDR sind bis heute zahlreiche Absolventen der DDR-Propagandisten-Kader- schmiede in leitender Stellung beschäftigt. Ein weiteres Beispiel von vielen ist Elke Lüdecke (Jahrgang 1959), die bereits seit 1996 amtierende Direktorin des MDR-Landesfunkhauses Sachsen-Anhalt in Magdeburg ist. Elke Lüdecke hatte 1983 gemeinsam mit ihren Kommilitonen Michael Plote und Thomas Triemner ihre Diplomarbeit verfasst. Thema: „Der Beitrag von Radio DDR 1 zur politischen Leitung sozialer Prozesse – analysiert an den wesentlichen politischen Sendungen“.
Angesichts all dieser "Kloster"-Personalien und auch mit der im November 2011 ins Amt gelangten MDR-Intendantin namens Karola Wille, eine promovierte DDR-Juristin, die Ende der 1980er-Jahre als Wissenschaftlerin am Institut für Imperialismusforschung der Universität Leipzig krude politische Aufsätze verfasste, wundert es auch eigentlich niemanden mehr, dass der MDR bis heute sein Ostalgie - und Volksmusik-Image nicht losgeworden ist. Die Universität Leipzig verlieh Karola Wille übrigens im Jahr 2002 die Honorar-Professur für Medienrecht. Bereits seit 1997 hatte die Ex-SED-Genossin Wille einen Lehrauftrag am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, wo heute die Journalisten ausgebildet werden.
Doch während die meisten der DDR-Journalistik-Studenten ihr staatsnahes Studium opportunistisch absolvierten, gab es all die Jahre immer wieder auch Einzelfälle von Studienabbrechern, die es mit ihrem Gewissen einfach nicht vereinbaren konnten, das zu vertreten, was ihnen da an Stelle von nicht vorhandener Pressefreiheit und Demokratie in der DDR, an ideologischem Unsinn eingetrichtert wurde.
Von einigen dieser Studienabbrecher ist bekannt, dass diese Mathematik oder Physik weiterstudiert haben. In diesen Fächern war der Ideologieanteil weitaus geringer. Und an der absoluten Wahrheit, dass etwa eins plus eins immer zwei ergab, konnten selbst die verblendetsten Mathematik-Professoren mit SED-Parteibuch nicht rütteln.
Auch die heutige ZDF-Sportmoderatorin Kristin Otto (Jahrgang 1966) und sechsfache DDR- Schwimm-Olympiasiegerin, die vom Zwangsdopingsystem in der DDR nichts mitbekommen haben will, hatte Ende der 1980er-Jahre ein Fernstudium in Journalistik an der Universität Leipzig aufgenommen.
Das Ministerium für Staatssicherheit hatte auch unter den Journalistik-Studenten zahlreiche Spitzel angeworben, um die politische Zuverlässigkeit der angehenden Pro- pagandisten und deren Loyalität zum SED-Staat auch im privaten Bereich zu überwachen. Nahezu in jeder Seminargruppe, die um die 20 Studenten umfasste, waren angeworbene Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi platziert. Die Stasi war an zukünftigen Journalisten stark interessiert, um systematisch deren Wissen und Kontakte abzuschöpfen. Einige wie zum Beispiel Günter Bohnsack (Jahrgang 1939), der von 1959 bis 1964 auch in Leipzig Journalistik studierte, brachte es später als Offizier bei der Stasi bis zum Oberstleutnant. Bohnsack war in der vom Stasi-General Markus Wolf bis 1986 geleiteten Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) zuständig für die Abteilung Desinformation. Dazu gehörte auch die Irreführung der bundesdeutschen Medien mittels gefälschter Informationen. Ausnahmslos alle Studenten der Sektion Journalistik befanden sich im Visier des DDR-Geheimdienstes. Doch nicht jeder ließ sich als Spitzel anwerben, es gab auch Verweigerer.
Einige Stasi-Zuträger, wie der heutige ARD-Sportreporter Jens-Jörg Rieck (geboren 1963, Deckname IM „Jörg Woydt") vom Südwestrundfunk Baden-Baden, waren damals während des Studiums von der Stasi in Leipzig auch auf ausländische Studenten angesetzt worden. Andere, wie der im Jahr 2007 enttarnte ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf (geboren 1964, Stasi-Deckname IM „Florian“), sollte als Leipziger Journalistikstudent unter anderem eine Studentin aus Göttingen, die mit Studienkollegen die Universität in Leipzig besuchte, ausforschen. Den Leipziger Bürgerrechtlern ist zu verdanken, dass auch die regionalen Akten der Auslands-Spionageabteilung der Stasi, der bereits erwähnten Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), nach dem Mauerfall vor dem Reißwolf gerettet werden konnten. Dort findet sich auch die IM-Akte von Boßdorf.
Von einem anderen Journalistik-Studenten der Uni Leipzig wurde nach dem Mauerfall öffentlich bekannt, dass dieser sogar während seines Studiums, als getarnter Offizier im besonderen Einsatz (OibE) der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) für den DDR- Geheimdienst tätig war. Stefan Schwarz (Jahrgang 1965) war, wie er gegenüber dem Autor vor Jahren erklärte, familiär politisch vorbelastet. Er habe damals in der DDR an den Sozialismus geglaubt. Sein Vater, der einstige Generalmajor des Ministeriums für Staatssicherheit, Josef Schwarz, war von 1982 bis Dezember 1989 Chef der Stasi- Bezirksverwaltung in Erfurt. Welche geheimdienstlichen Aufgaben Stefan Schwarz als Stasi- Offizier im besonderen Einsatz in der DDR konkret zu erfüllen hatte, wollte dieser nicht preisgeben. 1991 flog seine dubiose Vergangenheit auf, da war er Mitarbeiter der Berliner Tageszeitung (TAZ). In den vergangenen Jahren arbeitete Stefan Schwarz als Journalist unter anderem für die ARD und schreibt Kolumnen für die einstige DDR-Zeitschrift „Das Magazin“. Auch als Romanschreiber und Vorleser reist er öfters durch die Lande. 2014 wurde sein Roman „Die Großrussin“ im Rowohlt-Verlag publiziert.
Bereits vier Jahre zuvor veröffentlichte er im gleichen Verlag ein Werk mit dem gehaltvollen Titel: „Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut - Neue schreckliche Einzelheiten aus dem Leben eines Mannes von mittlerer Statur“. Über seine Stasi-Vergangenheit war darin allerdings nichts Erhellendes zu erfahren. Am 18. Dezember 2014 zeigte das angesehene MDR-Kulturmagazin „artour“ einen TV-Beitrag des Autoren Stefan Schwarz. Darin thematisierte der einstige DDR-Geheimdienst-Offizier Schwarz einen Aufruf deutscher Intellektueller, nicht weiter zu versuchen, Russland aus der europäischen Gemeinschaft zu isolieren. Der einstige KGB-Offizier und heutige Präsident von Russland, Putin, dürfte sich ob der Schützenhilfe seines einstigen Waffenbruders Schwarz gefreut haben. Dass ein ehemaliger Stasi-Offizier der DDR im 25. Jahr des Mauerfalls und noch dazu ausgerechnet beim öffentlich-rechtlichen Sender MDR in Leipzig, der Stadt der „Friedlichen Revolution“, journalistische Akzente setzt, empfanden zahlreiche Bürgerrechtler als skandalös.
Klaus-Dieter Kimmel (Jahrgang 1947), einst in der DDR langjähriger Sportredakteur des FDJ-Zentralorgans „Junge Welt“, der sich nach dem Mauerfall in den 1990er-Jahren bis zum stellvertretenden Chefredakteur der „Bild"-Zeitung hochdiente, hatte 1973 seine journalistische Diplomarbeit in Leipzig verfasst. 1999 flog Kimmel als einstiger Stasi-Spitzel auf und verlor zunächst seine hochdotierte Anstellung bei „Bild“, kam wieder zurück und musste 2001 erneut gehen. Er hatte zu DDR-Zeiten im Laufe der Jahre sogar zwei Decknamen: Von 1974 bis 1977 wurde er von der Stasi als IM „Fuchs“ geführt und ab 1988 als IM „Martin Meinel“. Nachdem Kimmel’s Stasivergangenheit publik wurde, hielt es den Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig nicht davon ab, 2003 mit Kimmel im Rahmen einer Ostalgie-Show-Produktion zusammenzuarbeiten.
Die Stasi hatte im Herbst 1989 krampfhaft versucht, möglichst viele Akten und weiteres Material zu vernichten, was allerdings nur zum Teil gelang. Noch lagern allein im Archiv der BStU-Außenstelle Leipzig rund 2300 Säcke mit zerrissenen Stasi-Dokumenten und Fotos bis hin zu teilzerstörten Tonbändern und Filmen. Diese harren noch der mühevollen und komplizierten Rekonstruktion. Experten sind sich sicher, dass auch in Zukunft noch brisantes Material zur Verstrickung von Journalisten mit dem DDR-Geheimdienstapparat ans Tageslicht kommen wird.