Lutz Rathenow - Vom Erleben der diffusen Zensur

Lutz Rathenow - Vom Erleben der diffusen Zensur

Lutz Rathenow wird am 22. September 1952 in Jena (Thüringen) geboren. In seinem Elternhaus wird viel und kontrovers über Politik diskutiert. Das Hören von Westsendern als Jugendlicher ist eine Selbstverständlichkeit. Die Ableistung der Wehrpflicht bei den Grenztruppen der DDR ist ein großer Bruch für ihn. Der Gedanke, bei Bedarf auf Menschen zu schießen, stellt ihn letztlich vor existenzielle Fragen.

Im Jahr 1973 beginnt er in seiner Heimatstadt das Studium der Pädagogik, Geschichte und Deutsch. Jedoch nimmt er den Beruf des Lehrers nicht ernsthaft in den Blick. Ihm geht es vor allem darum, zu studieren. Noch während der Armeezeit ruft er 1973 den Arbeitskreis Literatur und Lyrik Jena in das Leben. Die jungen Leute treffen sich zunächst auf einem Dachboden. Hier werden nichtveröffentlichte Texte oder verbotene und unliebsame Autoren besprochen, ihre Werke durch Abschriften in Umlauf gebracht. Im Mittelpunkt stehen die eigenen Texte. Diese versuchen die Beteiligten auch zu veröffentlichen. Dies erfolgt mehr oder weniger erfolgreich. Rathenow und die anderen erfahren dabei erste Zensureingriffe. Für ein Jahr findet der Literaturkreis in einem Kulturhaus Unterschlupf. Diese öffentliche Form zieht eine verstärkte Kontrolle nach sich. Rathenow muss sich als Leiter immer wieder vor zahlreichen Funktionären von Kultur, Partei oder Jugendorganisation rechtfertigen. Das zwar schikanöse, aber für Rathenow auch als spielerischer Umgang empfundene Katz und Maus Spiel findet 1975 mit seiner Festnahme und der weiterer 50 Personen sein radikales Ende. Die Geheimpolizei hatte ihre eigenen Fäden gesponnen.

Im Zuge der Proteste im Zusammenhang mit der Biermann-Ausbürgerung erfolgt im Jahr 1977 die Exmatrikulation von der Universität Jena. Ohne Abschluss in der Tasche arbeitet Rathenow zunächst als Transportarbeiter. 1977 folgt der Umzug nach Ostberlin. Der freiberufliche Schriftsteller Rathenow wird Stück für Stück mit einem geschickten und diffusen Publikationsverbot belegt, welches offiziell nicht ausgesprochen wird. Doch insgesamt bleibt der „DDR-Markt“ für ihn weitestgehend verschlossen. Bereits Anfang der 1970er-Jahre knüpft er Kontakte in den Westen. Sein erstes Gedicht erscheint in der Schweiz. Im Jahr 1980 veröffentlich er in der Bundesrepublik Deutschland sein Buch „Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet.“ Daraufhin erfolgen eine Wohnungsdurchsuchung und eine Untersuchungshaft in der Stasi-Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen. Nach internationalen Protesten müssen ihn die Behörden nach zehn Tagen Haft wieder frei lassen. Die Arbeit des Schriftstellers in den 1980er-Jahren ist von Veröffentlichungen im Westen, Lesungen auf Dachböden oder in kirchlichen Räumen geprägt. Er knüpft Kontakte in das subkulturell-künstlerische Milieu und in die oppositionelle Szene. Ebenso hält er Ost-West-Kontakte, wie etwa zum Schriftsteller Jürgen Fuchs. Dieses Netzwerken beobachtet die Staatssicherheit argwöhnisch und intensiv. Im Laufe der Jahre wächst die Akte auf zigtausende Seiten an. Nach der Friedlichen Revolution und der Überwindung der SED-Diktatur erhält er als einer der ersten im Jahr 1992 Akteneinsicht bei der Gauck-Behörde. Seit März 2011 ist Rathenow Landesbeauftragter für Stasi-Unterlagen Sachsen

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Download: Beitrag von Lutz Rathenow im Katalog zur Wanderausstellung. Lutz Rathenow: Wie verlogen waren die Medien in der DDR? (PDF Datei | 25kB)