Außer Kontrolle - Illegale Radios


Außer Kontrolle - Illegale Radios

Außer Kontrolle - Illegale Radios

Bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren entstehen vereinzelt regionale Piratensender in der DDR. Für eine Gruppe Jugendlicher aus Altenburg hat das illegale Senden mit politischen Inhalten im Jahr 1949 verhängnisvolle Folgen. In Leipzig 1959 der „Sender Freies Holzhausen“, 1965 der „Sender Freies Paunsdorf“ oder 1968 ein Dresdner Piratensender ins Leben gerufen. Ihr Hintergrund ist unpolitisch, aber aufmüpfig und das Interesse der Akteure liegt meist im technischen und musikalischen Bereich.

Radio Marke Stern R 160
Der Sternrecorder | Quelle: ABL

Geduldet werden sie dennoch nicht und ihre Geschichte ist meist von kurzer Dauer. In weit höherem Maße verfolgt die Geheimpolizei politisch orientierte Piraten- oder Rundfunksender.

EXKURS: Der Altenburger Piratensender

Eine besondere Form der oppositionellen Nachrichtenübermittlung in den 1980er-Jahren sind der „Schwarze Kanal“ und „Radio Glasnost – außer Kontrolle“. Beide senden von Westberlin aus, wobei die Inhalte der Beiträge in der DDR entstehen.

 

Kinderstempelkasten der Marke Famos
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

„Please Mr. Postman“ erklingt es am 7. Oktober 1986 auf einer UKW-Frequenz im Radio. Hinter diesem kurz gesendeten Lied der Beatles verbirgt sich der Empfangstest des Piratensenders „Schwarzer Kanal“, wobei der Name ironische Anspielung auf die gleichnamige Propagandasendung des DDR-Fernsehens ist. Etwas später kommt ein Kinderstempelkasten der Marke „Famos“ zu seinem konspirativen Einsatz. Winzige Zettel werden mit ihm bedruckt und verweisen auf den ersten unabhängigen Sender in der DDR. Ende Oktober verteilen die fünf Ostberliner Initiatoren des „Schwarzen Kanal“ in verschiedenen Berliner Stadtbezirken den Flugzettel. Dies geschieht nicht unbemerkt von der Staatssicherheit und sie beginnt aktiv zu werden. Nichtsdestotrotz geht am 31. Oktober 1986 der „Schwarze Kanal“ mit dem Thema Kernenergie auf Sendung.

Diesen, im Original 4 x 4 cm großen Handzettel erstellen fünf Ostberliner Oppositionellen mittels eines Kinderstempelkastens.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Das Ministerium für Staatssicherheit versucht dann, den Standort mit immensem Aufwand aufzuspüren. Zum Einsatz komme zunächst fünf feste Peilstellen. Zudem machen sich Mitarbeiter der Staatssicherheit nachts mit acht mobilen Peilgeräten in Kraftfahrzeugen und zwölf tragbaren Peilstellen auf den Weg. Zunächst gehen sie von einem Sender auf dem Gebiet der DDR aus, können ihn aber in Westberlin lokalisieren. Der Maßnahmeplan weist noch weitere Aktivitäten auf. So zum Beispiel den „Komplex Mobil“, wobei ein PKW mit sowjetischem Diplomatenkennzeichen, und spezieller Technik ausgerüstet, den genauen Standort in Westberlin ausfindig machen soll. Bei dem „Komplex Relais“ kommt ein sowjetischer Hubschrauber mit Mitarbeitern des MfS an Bord zum Einsatz.

Obwohl die ostdeutsche Geheimpolizei auch im Westteil aktiv wird, gelingt es ihr nicht, die Westberliner Unterstützer herauszufinden. Die Möglichkeiten der Staatssicherheit sind jedoch nicht erschöpft und sie traktiert den „Schwarzen Kanal“ mit Störmaßnahmen.

Wie ernsthaft der Staat den „Schwarzen Kanal“ bekämpft, zeigt sich beispielhaft an einer Geschichte aus Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). Wegen der Weiterverbreitung eines Mitschnitts des „Schwarzen Kanal“ verhaftet die Staatssicherheit Dirk Teschner und seine Freundin Andrea Franke Ende November 1986. Im Dezember verurteilt das Bezirksgericht Karl-Marx-Stadt beide wegen des Delikts „Staatsfeindliche Hetze“. Dirk Teschner erhält zwei Jahre Haft und seine Freundin anderthalb Jahre mit Bewährung. Teschners hohe Verurteilung wird jedoch später in eine dreijährige Bewährungsstrafe umgewandelt.

Haftfoto Dirk Teschner
Haftfoto Dirk Teschner | Quelle: Privat

Für den „Schwarzen Kanal“ ist aufgrund der massiven technischen Störungen und intensiven Ermittlungen der Staatssicherheit nach drei Sendungen im Jahr 1986 Schluss.

Dokumente:

Radio Glasnost

Roland Jahn ist einer der Initiatoren des Radio Glasnost
Quelle: Archiv Bundesstiftung Aufarbeitung,
Fotobestand Klaus Mehner,
Bild 88_0126_WIF_Medien

Wesentlich erfolgreicher geht „Radio Glasnost“ auf Sendung. Initiiert wird dieser durch den 1983 ausgewiesenen Bürgerrechtler und „kontraste“-Redakteur Roland Jahn, der die oppositionellen Kräfte in der DDR vielfältig unterstützt. Der Westberliner Privatsender „Radio 100“ schickt dieses DDR-Format mit festem Sendeplatz einmal monatlich über den Äther. In den Beiträgen werden Tabuthemen angesprochen sowie alternative Musik von Liedermachern oder Punk-Bands vorgestellt. Das in der DDR entstandene Material schmuggeln Diplomaten, Journalisten oder Bundestagsabgeordnete der Grünen in den Westteil der Stadt. Die Staatssicherheit attackiert das Radioformat ebenfalls mit Störsendern. Gänzlich unterbinden kann sie die Berichterstattung aber nicht, da bei derartigen Einflussnahmen die Beiträge abermals zu einer anderen Zeit gesendet werden. „Radio Glasnost“ kann von 1987 bis 1989 insgesamt 27-mal empfangen werden.

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